Weshalb bin ich immer so perfektionistisch? M.T.

Jacques: Die Antwort liegt bei dir – so wie bei vielen anderen Menschen mit diesem Problem – in der Kindheit. Kennst du das so genannte Prägealter? Die Natur hat dies so eingerichtet, damit das Kind, das abhängig davon ist, lebenswichtige Punkte der Eltern zu lernen, einzuprägen, ins Bewusstsein einzubrennen, das, was die Eltern dem Kind eindrücklich und wiederholt sagen (und das verbal und/oder nonverbal, das ist das Tückische), tief in sich aufnimmt.

Die Natur geht davon aus, dass die Eltern weise sind und dem Kind Richtiges, Wichtiges und Nützliches „einbläuen“. Leider ist es oft so, dass den Eltern nicht bewusst ist, dass ihr Kleinkind das, was sie eindrücklich und immer wieder sagen, so tief in sich aufnimmt. Wie oft handeln und sprechen die Eltern aus einer eigenen Unzulänglichkeit, Oberflächlichkeit, Stress oder eigenem Druck und Frust heraus? Wie oft lassen sie unzensiert das raus, was sie wiederum als Kleinkind von ihren eigenen Eltern immer wieder gehört oder vermittelt bekommen haben? Diese Botschaften und Glaubenssätze PRÄGEN SICH BEIM KIND GANZ TIEF EIN – wenn das die Eltern wüssten, wäre es ihnen gar nicht recht! Vor allem sind es die vermeintlich harmlosen Wörter und Gesten, die sich immer wieder wiederholen. So wird das Kind programmiert, es ist wie ein Ohrwurm, vergleichbar mit einem Lied, das immer wieder im Radio läuft, das prägt sich ein. Das Kleinkind beobachtet sehr aufmerksam und saugt alles in sich auf. Nebenbei bemerkt: lasst eure Kleinkinder nicht zu viel fernsehen und schaut genau, was sie ansehen – sie saugen wie gesagt alles in sich auf…

So frage dich: welchen „Ohrwurm“, welches „Lied“ dessen, was deine Eltern dir vorgebetet oder signalisiert haben (denk daran: auch nonverbal!), hockt in deinem System, tief drinnen, funktioniert, ohne, dass du es hinterfragst? Kleinkinder hinterfragen die Eltern nämlich nicht. Beobachte dein inneres (Klein)kind, welche Glaubenssätze es herunterspult. Ist es „Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, wirst du nicht geliebt?“ Oder ist es etwas anderes als das Zimmer aufzuräumen, das du nicht geleistet hast? Beobachte dich gut, in welcher Situation und unter welchen Umständen dein Perfektionismus, die Prägung aus dem Kleinkindalter, anfängt zu spulen – und du spulst mit, ohne zu hinterfragen. Beobachte dich gut, dann kommst du dem auf die Spur. Welche Gedanken und Gefühle gehen der Spule voraus? Welche laufen parallel mit?

In deinem Fall geht es also darum: welche (in)direkte (non)verbale Botschaft hast du als Kleinkind erhalten, die dir den Eindruck vermittelt hat, dass du nicht genügst, zu wenig leistest? Immer, wenn du den Eindruck hast, zu wenig zu genügen oder zu wenig zu leisten, drängt dein Perfektionismus hervor, um den (vermeintlichen) Mangel zu kompensieren und auszugleichen. Dein Ziel ist es, dadurch wieder geliebt zu sein. Die Fachleute nennen das „Strategie“.

Das Aufspüren der Prägung, der „Strategie“ ist das eine, diese zu löschen und umzuprogrammieren, das andere.

Du siehst, da steckt viel Arbeit dahinter.